Alberto Toscano macht mit Spätfaschismus etwas, das man in Zeiten von Rechtsruck und Dauerkrisen dringend braucht: Er entlarvt die wohlige Selbsttäuschung, Faschismus sei ein abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit. Nichts da. Faschismus ist nicht tot. Er hat sich nur verwandelt, angepasst, eingesickert in die Gegenwart.
Und genau da setzt Toscano an. Sein Buch zeigt, wie eng Faschismus und Kapitalismus zusammenhängen. Der Faschismus von heute ist nicht der von 1933 – aber er nährt sich aus denselben Strukturen: Rassismus, staatliche Gewalt, Ausbeutung, autoritäre Krisenpolitik. Toscano schreibt das nicht als Panikmache, sondern belegt es präzise und überzeugend.
Spätfaschismus: Die Mutation der Macht
Das Spannende an Toscanos Ansatz: Er spricht nicht von einer „Rückkehr“ des Faschismus, sondern von seiner Mutation. Faschismus, so seine These, hat nie aufgehört zu existieren – er war immer schon als Möglichkeit im Kapitalismus angelegt. In Grenzregimen, in rassistischen Polizeiapparaten, in der staatlichen Verwaltung von Krisen. All das ist kein „neuer Faschismus“, sondern die spätfaschistische Fortsetzung einer Logik, die uns längst umgibt.
Das macht dieses Buch so radikal aktuell: Es erklärt, warum die autoritäre Verschärfung unserer Gesellschaft nicht einfach „Ausreißer“ sind, sondern strukturell tief verankert und in diesem Sinne geradezu logisch folgende Ereignisse eines im Grunde leicht zu durchschauenden Systems. Leicht zu begreifen natürlich auch nur mit den richtigen Werkzeugen. Und eines davon ist dabei Alberto Toscanos Spätfaschismus.
Rassismus, Kolonialismus, Antisemitismus: Die verdrängte Kontinuität
Toscano greift bei seiner Analyse auf die Black Radical Tradition zurück. Auf Stimmen wie Aimé Césaire oder C. L. R. James, um klarzumachen: Der europäische Faschismus war nie isoliert. Er steht in direkter Kontinuität zum Kolonialismus, zur Sklaverei, zu rassifizierter Gewalt. Wer das vergisst, versteht auch die Gegenwart nicht. Und scheinbar ist genau das unser gegenwärtiges Problem. Während sich viele wundern, wie es zu Trump und Co hat kommen können, liefert Toscano eine Antwort, die ewig weit zurückliegt und im Grunde nicht aufgehört hat.
Besonders stark ist seine Analyse des Antisemitismus. Diesen begreift Toscano nicht als „Fehltritt“ einer Gesellschaft, sondern als integraler Bestandteil kapitalistischer Krisenbewältigung. Wenn’s brennt, sucht man die Sündenböcke. Diese Mechanismen laufen immer noch, nur in anderen Formen. Es ist extrem schmerzhaft Seite um Seite zu lernen, dass sich die Menschheit nicht wirklich weiterentwickelt hat. Zumindest nicht, was diese faschistischen Dynamiken betrifft.
Spätfaschismus: Ein Buch, das man lesen muss
Spätfaschismus ist für wahr kein leichter Happen. Aber gerade deshalb ist dieses Buch so unendlich wichtig. Alberto Toscano liefert keine Schlagworte für Talkshows, sondern einen präzisen, fundierten Blick auf eine der größten Gefahren unserer Zeit. Wer verstehen will, warum der Faschismus nicht weg ist, sondern immer wieder neu hochkocht – von den Grenzen Europas bis in Parlamente – muss dieses Buch einfach gelesen haben. Aber was heißt hier lesen? Alberto Toscanos Analyse sollte Pflichtlektüre in jeder Schule werden, die etwas auf politische Bildung hält!
Es ist Aufklärung pur: unbequem, analytisch scharf, und es macht deutlich, dass Faschismus nicht irgendwann von alleine verschwindet. Er verschwindet nur, wenn man ihn bekämpft. Dieses Buch zerlegt das Märchen, wir lebten in einer postfaschistischen Welt. Nein – wir leben im Spätfaschismus! Und genau das macht Alberto Toscanos Werk so dringlich. Es ist ein Werkzeugkasten für alle, die verstehen wollen, warum sich gerade jetzt autoritäre Exzesse breitmachen.
Titelbild© Unrast Verlag