Die blutige Kammer von Angela Carter – Wenn Märchen ihre Zähne zeigen

Angela Carter, die blutige Kammer

Mit der Neuauflage von Angela Carters Die blutige Kammer im Suhrkamp Verlag liegt endlich wieder eines der bedeutendsten Werke feministischer Literatur in deutscher Sprache vor – ergänzt um ein brillantes Nachwort von Mithu Sanyal, das nicht nur die Bedeutung von Angela Carters Arbeit herausstellt, sondern auch ihre bis heute anhaltende Sprengkraft deutlich macht. Denn Carter hat nicht weniger getan, als den Märchen das Rückgrat zu brechen – und ihnen ein neues, weibliches einzusetzen.

Märchen, aber anders: Subversion in stilistischer Eleganz

Die Sammlung Die blutige Kammer von Angela Carter ist weit mehr als eine literarische Fingerübung im Modus der Märchennacherzählung. Carter nimmt bekannte Stoffe – etwa Blaubart, Die Schöne und das Biest, Rotkäppchen oder Schneewittchen – und verwandelt sie radikal. Doch diese Transformation erfolgt nicht plump oder als bloße Gegenerzählung, sondern mit einer fast unheimlichen Feinfühligkeit: Man erkennt das Bekannte nur noch wie durch ein verzaubertes oder sollte man sagen entzaubertes Spiegelglas.

Das ist Carters Stärke: Sie enthüllt, was in den alten Märchen schon immer steckte – und was jahrhundertelang übersehen oder unterdrückt wurde. Weibliche Begierde. Gewalt. Emanzipation. Macht. Und sie schreibt es nicht nur in die Handlung ein, sondern webt es in die Sprache selbst: sinnlich, überbordend, manchmal barock, dann wieder präzise wie ein chirurgischer Schnitt. Es ist die literarische Dekonstruktion eines ganzen Genres.

Angela Carter: Die Revolution steckt in der Verfremdung

Was Carters Ansatz so revolutionär macht, ist ihre Fähigkeit, den Mythos nicht zu zerstören, sondern zu durchdringen. Ihre Geschichten sind keine simplen Umdrehungen patriarchaler Erzählstrukturen – sie sind vielmehr radikale Neuformulierungen, in denen Frauen nicht länger bloße Projektionsflächen für männliche Fantasien sind, sondern zu eigenständigen, begehrenden, denkenden und handelnden Subjekten werden.

Die bekannte Märchenlogik – die schöne, stille Frau wird erlöst oder bestraft – zerbricht in ihren Erzählungen. Stattdessen begegnen wir Frauen, die sich in Wölfe verwandeln, Männer töten, ihre Sexualität erkunden oder schlicht ihre Stimme wiederfinden. Carter nutzt die märchenhafte Struktur, um feministische Inhalte zu transportieren – aber sie tut das nicht didaktisch, sondern poetisch, radikal und verstörend schön.

Die blutige Kammer von Angela Carter: Ein feministisches Manifest in Prosaform

Angela Carter hat mit Die blutige Kammer ein Werk geschaffen, das nicht nur die Märchentradition hinterfragt, sondern auch das Verhältnis von Literatur, Geschlecht und Macht. Wie Mithu Sanyal in ihrem klugen Nachwort betont, war Carter ihrer Zeit weit voraus: Während sich der Feminismus der 1970er-Jahre oft im konkret politischem Spektrum bewegte, interessierte sich Carter für das Ambivalente, das Sinnliche, das Monströse – gerade in der weiblichen Figur.

Sanyal beschreibt in ihrem lesenswertem nachwort Carter als eine Autorin, die das Märchen nicht „entlarvt“, sondern ihm eine neue Seele einhaucht – eine Seele, die zugleich zornig, lustvoll und voller Vorstellungskraft ist. Dieses Nachwort rahmt die Geschichten nicht nur klug, sondern öffnet neue Lesezugänge, die den Reichtum von Carters Werk unterstreichen.

Angela Carter und Die blutige Kammer – poetisch, politisch, unvergesslich

Die blutige Kammer ist ein Buch, das man nicht einfach so liest. Es ist ein literarischer Sabbat, ein Reigen der Verwandlungen – ein feministisches Manifest in der Verkleidung eines „Märchenbuchs“ der anderen Art. Angela Carter zeigt, dass Literatur eine Waffe sein kann – aber auch ein Spiegel, ein Zauberspruch, ein Befreiungsritual.

Wer glaubt, Märchen seien bloß Kinderkram, wird hier eines Besseren belehrt. Und wer wissen will, wie man mit Sprache, Mut und Imagination die altbekannte Welt neu erzählen kann, kommt an diesem Buch nicht vorbei.


Titelbild © Suhrkamp Verlag