Die neue Netflix-Serie Boots versucht die archaische Männlichkeit in einem Marines-Ausbildungslager zu dekonstruieren und patriarchale Strukturen mit Humor zu brechen. Ob es ihr gelingt, erfährst du hier.
Boots: Teenage-Marines auf Netflix
Die neue Netflix-Serie Boots beginnt mit einer fast schon klassischen Coming-of-Age-Situation: Ein Teenager, gerade 18, steht am Anfang seines Erwachsenenlebens. Und weiß nicht, wohin mit sich. Doch statt Kunsthochschule oder Work-and-Travel entscheidet er sich für das Gegenteil von Freiheit: für die Marines. Der Clou und zugleich der spannende Ansatzpunkt der Serie liegt darin, dass dieser junge Mann homosexuell ist. Eine Figur, die in ihrer Selbstverständlichkeit eigentlich ein neues Kapitel queerer Repräsentation aufschlagen könnte.
Spielzeit: Anfang der 1990er, kurz vor dem Irakkrieg. Ein Setting, das nach großer Tragödie riecht, nach Schweiß, Drill, Männlichkeitsritualen und Angst. Man ahnt schnell: Boots will in die Fußstapfen von Kubricks *Full Metal Jacket* treten – nur eben als Serie, und mit einem modernen, queeren Twist, aber auch mit sehr viel Comedy. Doch dieser Versuch, Antikriegsdrama, Coming-of-Age und Komödie zugleich zu sein, stolpert schneller, als man „Sir, yes, sir!“ sagen kann.
Boots: Full Metal Jacket in Sneakers
Die Parallelen zu Kubricks Kultfilm sind kaum zu übersehen. Ja, sie schreien einen fast an, die Figuren spreche sogar darüber. Der Drill, die Uniformität, die psychische Zermürbung, die Gruppendynamik. Alles da, nur in deutlich leichterer Tonlage. Boots will zwar subversiv sein, aber das Ergebnis ist eher ein Hybrid aus Parodie und Hommage, irgendwo zwischen American Pie und Der Soldat James Ryan – naja, vielleicht immer noch nicht annähernd so traumatisierend.
Die neue Netflix-Serie zeigt eine Truppe junger Rekruten, die in der Ausbildung zu Marines durch die Hölle gehen sollen. Doch statt der seelischen Zerstörung, die Kubrick so präzise sezierte, bekommen wir hier ironische Einlagen, Punchlines und merkwürdig weichgespülte Szenen. Der Wahnsinn, der Horror, die Verrohung – sie bleiben aus. Die Figuren wachsen nicht durch Trauma, sondern durch Kameradschaft, fast so, als ginge es um ein Sommercamp mit schlechten Haarschnitten – die Verbindung zum Sommercamp wird dabei immer wieder gezogen.
Sehnsucht nach archaischer Männlichkeit
In der deutschen Netflix-Serie Alphamännchen, die als Komödie daherkommt, geht es im Grunde auch um die stille Sehnsucht nach einer alten Form der archaischen und patriarchalen Männlichkeit. Was in Alphamännchen jedoch noch ironisch gebrochen wird – zumindest versucht man es –, wird in Boots leider allzu oft unfreiwilliger ernst. Eine fast humorbefreite Beschwörung der Männlichkeit als Härte, als Körper, als Ritual. Dabei hätte die Serie mithilfe eines queer-gaze all diese obszönen Männlichkeitsrituale wunderbar dekonstruieren können. Doch Boots zelebriert diese vielmehr.
Homosexualität als verlorenes Thema
Dabei war die Ausgangsidee doch so stark: ein homosexueller Soldat im hypermaskulinen Militärsystem der frühen 90er. Das hätte Sprengkraft gehabt. Doch die Netflix-Serie Boots nutzt dieses Motiv fast kaum. Nach der ersten Episode verblasst die queere Perspektive, wird zu einem Nebengeräusch, während der Plot sich lieber in banalen Konflikten und Gruppendynamik verliert.
Andere Filme über dieses Thema – wie Beau Travail oder Eismayer – haben gezeigt, wie tief und vielschichtig man Begehren, Körperlichkeit und Unterdrückung im Militär erzählen kann. Boots dagegen bleibt oberflächlich: hübsch anzusehen, aber emotional doch recht leer, bedient es unsere altbekannten Vorstellungen von Drill und Kameradschaftlichkeit.
Nicht falsch verstehen, die Serie ist sehr unterhaltsam. Doch es gibt dabei keinen Konflikt, keine Spannung zwischen Identität und Institution. Nur ein paar angedeutete Flirts, wohl eher Blicke, bevor wieder zusammen marschiert wird, und der Geist der individuellen Männer zu einem denk- und gefühlskonformen Platoon geformt wird.
Jugendliche Männer, infantile Ausbildner
Ein weiteres Problem ist der Ton: Alle Figuren wirken zu jung, zu schön, zu glatt. Die Rekruten sind bzw. müssten im selben Alter wie jene in Full Metal Jacket sein. Doch während uns Stanley Kubrick in seinem Klassiker den moralischen Verfall junger Erwachsener zeigt, knallt uns Boots Figuren vor den Latz, die wie Teenager wirken. Wobei die Ausbildner:innen kaum älter wirken. Was jetzt vielleicht ästhetisch reizvoll ist, bleibt leider psychologisch doch recht hohl.
Boots hat wahrlich etwas Teeniehaftes. Wirkt dabei fast wie eine Realityshow über Krieg und Kameradschaft. Statt Wahnsinn bekommt man TikTok-Energie im Tarnanzug. Und so verliert sich die neue Netflix-Serie doch recht schnell, irgendwo zwischen Niemandsland und Comedy. Statt Männlichkeit wirklich radikal zu dekonstruieren, spielt man lieber mit alten Muster. Klar, man hat den übergewichtigen Rekruten und so weiter und Männer, die femininer daherkommen. Dennoch wird Männlichkeit im Grunde – statt dekonstruiert – einfach nur nachgestellt.
Boots: Mutiger Start, aber schnell aus der Puste
Ganz ehrlich: die neue Netflix-Serie ist sehr unterhaltsam nund durchaus sehenswert. Doch Boots will vielleicht einfach zu viel: queeres Drama, Antikriegsbotschaft, ironische Brechung, Coming-of-Age. Doch am Ende bleibt sie nichts von allem – weder ernst genug für das Drama, noch absurd bzw. witzig genug für eine Satire.
Was bleibt, ist ein interessanter, aber missglückter Versuch, Männlichkeit und Krieg im 21. Jahrhundert neu zu erzählen.
Titelbild © Netflix
