Der Abgang von Karim El-Gawhary, der seit Jahrzehnten für den ORF aus dem Nahen Osten berichtet, kommt nicht aus dem Nichts. Er ist das Ergebnis einer monatelangen öffentlichen Kampagne, die sich insbesondere an seiner Berichterstattung zum Gaza-Krieg entzündete. Dabei steht weniger die journalistische Qualität seiner Arbeit im Fokus als vielmehr die politische Deutung seiner Analysen.
Doch nun haben mehr als 15.000 Menschen innerhalb kurzer Zeit eine Petition auf der Plattform aufstehn.at unterzeichnet, die den Verbleib von Karim El-Gawhary beim ORF fordert. Denn der langjährige Nahost-Korrespondent gilt für viele als eine der zuverlässigsten journalistischen Stimmen aus dem arabischen Raum. Die Unterstützerinnen und Unterstützer sehen in seinem Abgang einen gefährlichen Präzedenzfall. Bei dem politischer und ideologischer Druck zunehmend über journalistische Karrieren entscheidet.
Quelle: mein.aufstehn.at
„Wir fordern die Verlängerung des Vertrags von Karim El-Gawhary und die Beibehaltung des ORF-Korrespondentenbüros in Kairo als unabhängigen Standort für die Nahost-Berichterstattung.“
Kritik, Kampagnen und der Druck auf den ORF
Seit dem Herbst 2023 geriet El-Gawhary zunehmend ins Visier politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure, die seine Berichterstattung als einseitig oder israelkritisch bewerteten. Besonders lautstark äußerten sich dabei pro-israelische Initiativen, darunter auch Vertreter der jüdischen Hochschülerschaft in Österreich, die dem Journalisten wiederholt vorwarfen, Narrative der Hamas zu reproduzieren oder israelische Positionen zu relativieren.
Diese Vorwürfe wurden öffentlich erhoben, etwa in offenen Briefen, Stellungnahmen und Social-Media-Kampagnen. Belege für journalistisches Fehlverhalten im Sinne von Falschberichterstattung oder bewusster Desinformation wurden jedoch nicht vorgelegt. Weder der ORF noch externe Medienaufsichtsorgane bestätigten formale Verstöße gegen journalistische Standards.
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Mehrere Medien, darunter Der Standard und Falter, berichten, dass der ORF im Zuge öffentlicher Kritik, offener Stellungnahmen und politischer Interventionen zunehmend unter Rechtfertigungsdruck geriet. Die Vorwürfe richteten sich dabei weniger auf nachweisbare Faktenfehler als auf Karim El-Gawharys journalistische Einordnung des Nahostkonflikts, die bewusst auf Kontext, historische Tiefe und Perspektiven aus der arabischen Welt setzte.
Denn El-Gawhary bettete aktuelle Ereignisse regelmäßig in einen breiteren historischen, politischen und gesellschaftlichen Kontext ein und bezog dabei auch Perspektiven aus der arabischen Welt mit ein. Genau diese Herangehensweise wurde von Kritikerinnen und Kritikern als problematisch wahrgenommen. Ihnen galt die kontextualisierende Berichterstattung teils als einseitig oder politisch gefärbt, obwohl sie sich im Rahmen klassischer Auslandsanalyse bewegte und journalistischen Standards der Einordnung komplexer Konflikte folgte.
Ideologisches Kreuzfeuer statt fachlicher Auseinandersetzung mit Karim El-Gawhary
Der Falter beschreibt die Situation als ein „ideologisches Kreuzfeuer“, in dem El-Gawhary zunehmend zwischen politischen Fronten geriet. Seine journalistische Haltung – distanziert, erklärend, nicht aktivistisch – wurde von Kritikern dennoch politisch gelesen. In der aufgeheizten Atmosphäre nach dem 7. Oktober 2023 reichte diese Wahrnehmung aus, um seine Rolle grundsätzlich infrage zu stellen.
Dabei ist festzuhalten: Kritik an journalistischer Arbeit ist legitim und notwendig. Problematisch wird sie jedoch dort, wo sie nicht mehr faktenbasiert argumentiert, sondern darauf abzielt, einzelne Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs zu drängen. Mehrere Medienanalysen weisen darauf hin, dass El-Gawhary nicht wegen nachgewiesener journalistischer Fehler unter Druck geriet, sondern wegen der politischen Interpretation seiner Arbeit.
Karim El-Gawhary bleibt freier Mitarbeiter
Der ORF betont, dass Karim El-Gawhary mit seinem regulären Dienstverhältnis in Pension geht, dem Haus jedoch als freier Mitarbeiter verbunden bleibt. Kritiker:innen verweisen darauf, dass dieser Statuswechsel faktisch einen Verlust an institutioneller Absicherung und Einfluss bedeutet, auch wenn die Zusammenarbeit formal fortgeführt wird.
Die Petition von aufstehn.at widerspricht dieser Darstellung deutlich. Sie wertet den Abgang als Ergebnis eines politischen Klimas, in dem differenzierte Nahost-Berichterstattung zunehmend unter Generalverdacht gerät. Die Unterstützer:innen warnen davor, dass Redaktionen künftig vorsichtiger berichten könnten. Aus Angst vor Kampagnen, Shitstorms oder institutionellem Druck.
Der Fall Gawhary als Grundsatzfrage für den Journalismus
Der Fall Karim El-Gawhary wirft aber in Wirklichkeit eine weitaus größere Frage auf: Wie viel politische Einflussnahme hält unabhängiger Journalismus aus? Und wo beginnt Selbstzensur? Gerade in hoch emotionalisierten Konflikten wie dem Nahostkrieg ist journalistische Distanz schwer auszuhalten, aber unverzichtbar.
Bis heute gilt: Es gibt keine belegten Verstöße El-Gawharys gegen journalistische Standards. Was bleibt, ist der Eindruck eines öffentlichen Drucks, der weniger auf Fehlern als auf politischen Deutungskämpfen basiert. Die breite Unterstützung aus Zivilgesellschaft und Medien zeigt, dass viele diesen Abgang nicht als normalen Generationenwechsel verstehen, sondern als Warnsignal.
Titelbildcredits: KI generiert

