BOAH, was für ein Buch. „Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen“ ist nicht einfach ein weiteres feministisches Theorie-Werk. Es ist eine radikale, widerständige und zutiefst wütende Bestandsaufnahme dessen, was im deutschsprachigen Raum viel zu lange ignoriert, bagatellisiert oder entpolitisiert wurde: Morde an Frauen und FLINTA-Personen, die nicht aus Eifersucht, Verzweiflung oder „Beziehungstragödien“ passieren – sondern aus einem System heraus, das Gewalt gegen bestimmte Körper ermöglicht, rechtfertigt, duldet und reproduziert.
Was das Autor*innenkollektiv BIWI KEFEMPOM hier vorlegt, ist keine bloße Aufzählung von Femiziden. Es ist ein analytischer, emotional fordernder und zugleich empowernder Text, der eines ganz klar macht: Diese Morde sind politisch. Und unser Schweigen auch.
Wer nicht wütend ist, hat nicht aufgepasst
Seit 2020 dokumentiert und beantwortet das feministische Netzwerk Claim the Space in Wien jeden einzelnen Femi(ni)zid öffentlich. Die Betroffenheit wird in Aktionen übersetzt, die Trauer in Wut, die Wut in Organisierung. Das Buch setzt genau da an – und führt diesen Protest in den Raum der Theorie, ohne die Straße zu verlassen. Es spannt ein Netz zwischen Lateinamerika und Europa, zwischen feministischer Bewegungsgeschichte, Polizeikritik, Queerfeminismus und postkolonialer Gesellschaftsanalyse.
Der Clou? Der Begriff Femi(ni)zid wird nicht nur als Beschreibung verwendet, sondern als politisches Werkzeug. Ein Begriff mit Schärfe, der sichtbar macht, was die Statistik verschleiert: dass diese Gewalt ein System hat – und dieses System ein Name: Patriarchat.
Intersektional, kollektiv, unbequem – genau richtig
„Femi(ni)zide“ verweigert sich konsequent einfachen Erklärungen. Stattdessen bietet das Kollektiv eine intersektionale Analyse, die Rassismus, Klassismus, Transfeindlichkeit, Ableismus und heteronormative Gewaltverhältnisse konsequent mitdenkt. Das bedeutet auch: Transizide werden nicht unter „ferner liefen“ behandelt, sondern als Teil desselben Systems verstanden, das Frauen ermordet, die ihre Männer verlassen wollen, und trans Personen, weil sie existieren.
Und das Ganze nicht aus akademischer Warte, sondern mit einem subjektiven, kämpferischen Zugang, der die Erfahrungen von Aktivist*innen, Betroffenen, Angehörigen und politischen Gruppen ernst nimmt. Ja, dieser Text ist wütend. Und ja, das soll er auch sein.
Femi(ni)zide: Protest, Praxis, Perspektive
Was Femi(ni)zide besonders macht: Es bleibt nicht bei der Analyse stehen. Das Buch dokumentiert Protestformen, Erinnerungsarbeit, transnationale Vernetzung und feministische Widerstandsgeschichte. Ob Gedenkaktionen, Straßenblockaden oder Begriffsdebatten – hier wird Widerstand als Praxis verstanden. Kein leerer Aufruf zur „Sensibilisierung“, sondern ein konkreter Anstoß zum Organisieren, Diskutieren, Hinterfragen.
Zentrale Begriffe wie „Femi(ni)zid-Suizid“ oder „Transizid“ werden eingeführt, in Debatten eingebettet und kritisch beleuchtet – immer im Spannungsfeld zwischen Theorie, Aktivismus und konkreter politischer Arbeit.
Warum du dieses Buch lesen solltest (auch wenn du dich dabei unwohl fühlst)
Es gibt Bücher, die trösten. Dieses nicht!
Es gibt Bücher, die dich mitnehmen. Dieses stellt sich dir in den Weg!
Es sagt: „Schau hin!“
Es sagt: „Tu was!“
Es sagt: „Du bist Teil des Problems, wenn du Teil der Lösung sein willst und nichts tust!“
Und genau darum ist es so wichtig. Weil es Klartext redet und Namen nennt. Weil es nicht locker lässt, bis patriarchale Gewalt nicht mehr erklärbar, nicht mehr erträglich und nicht mehr normal ist.
Pflichtlektüre für alle, die ernst meinen, was sie über Gleichberechtigung sagen
„Femi(ni)zide“ ist ein Buch, das du nicht einfach liest – du arbeitest dich daran ab. Es fordert dich heraus und weckt Verantwortung. Es ist politisch, emotional und unbequem. Aber vor allem: notwendig!
Lesen. Wütend sein. Organisieren.
Denn, wie das Kollektiv schreibt:
„Bis wir keinen einzigen Femi(ni)zid mehr politisieren müssen.“
Buchtitel: Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen
Autor*innen: BIWI KEFEMPOM
Verlag: Verbrecher Verlag
Erscheinungsjahr: 2024
ISBN: 978-3-95732-617-3
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Titelbild © Verbrecher Verlag