Es hat gedauert, doch nun hat Netflix endlich eine würdige Antwort auf HBOs gefeierte Erfolgsserie The White Lotus gefunden – und zwar ohne diese bloß zu kopieren. Sirens ist keine plumpe Nachahmung, sondern eine eigenständige, klug erzählte Serie, die mit subtiler Härte und feiner Beobachtung die Abgründe der Reichen offenlegt. Was auf den ersten Blick wie eine skurrile Wohlfühlgeschichte anmutet, entpuppt sich als tiefgründige Analyse von Macht, Abhängigkeit und sozialer Hierarchie.
Bonzen mit Maske: Die Illusion echter Nähe
Wie schon The White Lotus nimmt sich Sirens die Welt der Reichen und Schönen zur Brust – allerdings auf eine deutlich subtilere Weise. Die Kritik an der Oberschicht ist hier nicht plakativ oder laut, sondern hinter einem Schleier skurriler Höflichkeit verborgen. Die Figuren wirken zunächst nett, fast sympathisch – doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell die strukturelle Kälte dahinter.
Ein zentrales Motiv: Die Oberschicht versucht, die Spuren ihres Reichtums zu verwischen, um Nähe zu ihren Angestellten und Untergebenen herzustellen. Doch diese vermeintliche Authentizität ist brüchig. Sobald etwas schiefläuft, wird sofort die „Geldkarte“ gezogen – und die sozialen Grenzen werden brutal in Erinnerung gerufen.
Sirens auf Netflix: Julianne Moore brilliert – zwischen Macht und Zerbrechlichkeit
Im Zentrum dieser brüchigen Welt steht Julianne Moore, die ihre Rolle als labile und kompromisslose Gastgeberin mit beeindruckender Ambivalenz verkörpert. Ihre Figur zeigt sich verletzlich und enttäuscht, wenn ihre Assistentin sie anlügt – vergisst dabei aber geflissentlich, dass diese Frau wirtschaftlich vollständig von ihr abhängig ist.
Diese Abhängigkeit wird nie explizit ausgesprochen, ist aber in jeder Szene spürbar. Moores Assistentin, selbst aus schwierigen Verhältnissen, beginnt eine heimliche Affäre mit dem Freund ihres Mannes. Als das auffliegt, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch – kein Drama um Gefühle, sondern um wirtschaftliche Existenz.
Wenn Unterdrückte zu Komplizen werden
Besonders interessant ist, wie Sirens zeigt, dass die Figuren aus unteren sozialen Schichten selbst zu Vollstreckern der Macht werden. Moores Assistentin beginnt, im Auftrag ihrer Chefin andere Angestellte zu tyrannisieren. Die Armen treten nach unten, um nach oben hin zu gefallen – verlassen die Sphäre der Abhängigkeit aber nie. Sie agieren wie skrupellose Manager „zum Wohle der Firma“, auch wenn dieses Wohl letztlich nur den Besitzenden dient.
Sirens auf Netflix: Eine Welt der Illusionen und Machtspiele
Sirens entwirft eine luxuriöse, aber zutiefst verkommene Welt, in der Nähe und Freundschaft nur simuliert werden. Ein gemeinsamer Joint auf dem Balkon mit dem Hausherrn (aka Big Cheese) erzeugt vielleicht eine scheinbar vertraute Stimmung – doch die Klassenverhältnisse bleiben bestehen. Keine der Figuren kann sie wirklich durchbrechen. Und am Ende der Serie wird auch klar, wie tiefgreifend diese Klassenstrukturen in den Figuren selbst sitzen und das sich niemand, wirklich niemand diesem Gepräge entziehen kann und das zu verdammt ist, das Spiel einfach mitzuspielen.
Und genau hier liegt Sirens’ große Stärke: Die Serie macht diese soziale Dynamik spürbarer, klarer und letztlich bitterer als The White Lotus. Während dort der soziale Kommentar oft plakativ daherkommt (weirde Bonzen auf einem Bonzen Resort), versteckt sich bei Sirens die Kritik hinter schön inszenierten Fassaden – und trifft dadurch umso härter.
Keine Kopie, sondern eine schärfere Alternative
Sirens ist nicht einfach Netflix’ Version von The White Lotus – es ist ein eigenständiger, klug inszenierter Kommentar auf eine Gesellschaft, in der Nähe, Freundschaft und Menschlichkeit nur so lange zählen, wie sie das Machtgefüge nicht stören. Wer genau hinschaut, erkennt in dieser Serie eine leise, aber schonungslose Abrechnung mit der Welt der Bonzen – die eine geradezu sirenenhafte macht auf ihre Untergebenen ausübt. Und trifft damit den Nagel aber so was von auf den Kopf!
Man denke nur an den Hype um die Tech-Milliardäre, die den Planeten zerstören, aber von vielen weiterhin als eine Art Heilsbringer vergöttert werden. Und genau deshalb ist Sirens nicht nur sehenswert, sondern in mancher Hinsicht sogar die bessere, weil subtilere Serie. Deren Botschaft jedoch ganz klar ist: Wie die große Schwester, die versucht, ihre kleine Schwester aus den ideologischen Fängen der Bonzen-Welt zu holen, müssen auch wir es irgendwie schaffen, aus der Idee herauszukommen, vereinzelte reiche Menschen können mithilfe ihrer „Wohltätigkeit“ den Planeten retten. Denn genauso ist es eben nicht – wir, wie Barbara Blaha erkenntnisreich erklärt, können uns die Reichen einfach nicht mehr leisten! Erst wenn wir verstanden haben, wer das Problem ist – das reichste Prozent der Weltbevölkerung verursacht so viele klimaschädliche Treibhausgase wie die fünf Milliarden Menschen, die die ärmeren zwei Drittel ausmachen! – können wir auch etwas dagegen tun.
Titelbild © Netflix