ALPONE. Seit 2006 ist er ein fester Bestandteil der Rap-Szene in Graz. Seine Fans begeistert er mit mitreißenden Beats, selbst geschriebenen Texten und einem vielseitigen Sound. Seit kurzem steckt in seinem Musikrepertoire jedoch noch etwas ganz anderes: Gefühl und Tiefe.
Benjamin Riegler aka ALPONE beschäftigt sich seit einigen Jahren mit sich, seiner Herkunft und Psyche. Die letzte EP „Balkanski“, welche zusammen mit 4Tact produziert wurde, überzeugt durch melodischen Rap und kritischen Texten. Im Interview spricht er über seine Vergangenheit und die Narben, die diese hinterlassen hat. Es geht um Rassismus, Gewalt, Männlichkeit und Aufarbeitung. Außerdem verrät er neue Details zum geplanten Album.
Interview mit ALPONE
Wie würdest du deine musikalische Karriere beschreiben, insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen, die einem als Person in der Öffentlichkeit widerfahren?
ALPONE: Mir ist mittlerweile bewusst geworden, dass damit eine gewisse Verantwortung einhergeht. Ich wollte nicht wie der letzte Junkie dastehen, deswegen habe ich auch mit dem „Drogenrap“ aufgehört. Mir kommt vor, ich habe meine Vorbildrolle durch die Suche nach mir selbst gefunden. Irgendwann hat sich diese Rolle dann auch richtig angefühlt und der gesündere Lebensstil hat mir gutgetan.
Am Anfang meiner Rap-Karriere habe ich ein Sprachrohr gebraucht, um mit meinen Gefühlen umgehen zu können – mehr war das damals noch nicht.
Dann habe ich Erfolg geschnuppert, wollte Fame werden – wie die Jungs von Aggro Berlin – und BMW fahren. Als ich bemerkt habe, dass es mit dem Fame sein nichts wird, konnte ich aber nicht mehr aufhören zu rappen (lacht). In der Zeit war ich psychisch extrem lost. 2010 zog ich von Weiz nach Graz, traf andere Rapper und feilte an meiner Technik, es ging darum, wer die besseren Reimketten hat. Trotz meiner Unsicherheit war diese Phase wichtig – sie half mir, mein Skilllevel zu pushen.“
Aufarbeitung der Traumata
Warum hast du dich verloren oder wie du es sagst, „lost“ gefühlt?
ALPONE: Weil ich versucht habe, der österreichischen Rap-Szene zu gefallen.
Davon musste ich mich abkapseln, was natürlich ein Prozess war. Doch dieser Prozess hat dazu geführt, dass ich zurück zu meinen Wurzeln gefunden habe. Es hat fünf bis sechs Jahre gedauert, bis diese Auseinandersetzung mit mir selbst und mit meiner Herkunft so aufgearbeitet war, dass ich mich wohl gefühlt habe, persönliche, tiefgründige Tracks darüber zu releasen. Mehrere Liedtexte habe ich schon vor zehn Jahren fertig geschrieben, nur eben einfach nicht so, dass man die der Öffentlichkeit zeigen hätte können. Ich musste die Traumata, die ich erlebt habe, erst verarbeiten, bevor ich sie in Form von einem Track präsentiere.
Wie mein neues Album, in dem solche deepen Tracks zu hören sein werden, dann im Endeffekt ankommt, weiß ich nicht und ich habe wirklich Schiss. Aber zum ersten Mal in meinem Leben, mache ich das, was ich wirklich machen will.
ALPONE über Wurzeln & Herkunft
Du befasst dich in den angesprochenen Tracks mit deinen bosnischen Wurzeln. Wie kam es dazu?
ALPONE: Meine Herkunft war immer Thema – besonders durch Rassismus-Erfahrungen. Ein Schlüsselmoment war ein vergangener Job bei Kastner, einem Kleidungsgeschäft in Graz. Dort unterdrückte ich unbewusst Jugo-Wörter, die mir in Alltagsgesprächen rausrutschen. Als mir das auffiel, dachte ich mir nur, „ey, was tust du da?“. Sich anpassen zu müssen, war überhaupt nicht cool und hat mich in Bezug auf meine Identität getriggert.
In Österreich bist du Ausländer, aber im Herkunftsland auch. Mittlerweile heiße ich Riegler im Nachnamen und spreche mein schönes Deutsch, weshalb mir nicht jede:r gleich meine Wurzeln anmerkt – ich kriege die Rassismus-Erfahrungen trotzdem nicht mehr aus mir raus. Wenn du dir schon als Kind anhören musst, dass du ein „scheiß Jugo“ bist, dann vergisst du das nicht so schnell. Ich möchte diese Seite aber nicht wegen Anderen verstecken, deswegen zeige ich sie jetzt auch mit meiner Künstlerfigur.

Hast du den Geburtsort deiner Eltern je besuchen können?
ALPONE: Ja. Mein leiblicher Vater ist aus Serbien, meine Mutter aus Bosnien. Meine Mutter ist kurz vor Kriegsbeginn in Bosnien, als Alleinerziehende nach Österreich geflüchtet – die Beziehung mit meinem Vater musste sie zu ihrem eigenen Schutz beenden.
Wir sind oft nach Bosnien zurückgekehrt und haben die Heimat meiner Mutter besucht. Aber da herrschte noch ein anderes Klima, es gehörte für mich zur Normalität, dort Waffen, Panzer und Stacheldrahtzäune zu sehen, auf Minenfelder aufzupassen, wenn wir spazieren gegangen sind. Aber so etwas ist halt einfach nicht normal – vor allem nicht für ein Kind. Das hat schon etwas in mir ausgelöst.
Die Weiterentwicklung der Kunstfigur
Kannst du mit Rassismus-Erfahrungen besser umgehen, seitdem du deine Wurzeln in Form einer Kunstfigur zeigst?
ALPONE: Auf jeden Fall, ich weiß nur nicht, ob das per se was mit der Kunstfigur zu tun hat. Ich glaube, das kam eher von der Aufarbeitung und der Awareness dem Thema gegenüber. Durch meine persönliche Weiterentwicklung hat sich die Kunstfigur weiterentwickelt. Das war dann ein riesiger Move, der meinerseits passiert ist. Ich habe mich mehr mit dem Jugoslawienkrieg auseinandergesetzt und an mir und meinem Image gearbeitet.
Im neuen Album kommt der Jugo in mir nicht so raus. Da habe ich ihn nicht so gefühlt, aber das ist auch okay. Ich will nichts erzwingen. Wer weiß, was diesen Sommer noch so passiert und vielleicht kommt ja noch eine Jugo EP (lacht).
Und wann kommt das neue ALPONE Album?
ALPONE: Das kann ich noch nicht sagen. Im neuen Album steckt viel Aufarbeitung drinnen, es wird persönlich und deep. Ich schaue mir zurzeit alte Liedtexte an, die ich vor über zehn Jahren geschrieben habe, wo ich an einen Tiefpunkt angekommen war. Das Schreiben von Liedtexten hat mich damals am Leben gehalten, und das liest man raus. Ich hatte damals noch keine Erfahrung, deswegen sind die Texte nicht wirklich gut, aber sie dienen mir als Inspiration.
Es klingt so abgedroschen, wenn Leute sagen „Musik ist wie Therapie“, natürlich es ist irgendwie eine Art von Therapie, aber keine professionelle (lacht). Mir hat Musik eher dazu gedient, Dinge zu verarbeiten und Gedanken rauszulassen.
Welche Thematiken werden in deinem neuen Album behandelt?
ALPONE: Meine Geschichte und alles, was zu ihr gehört. Ende 2013 hat sich mein Stiefvater erschossen, kurze Zeit später bin ich beim Dealen erwischt worden und habe zusätzlich eine Anzeige wegen Körperverletzung bekommen. Da ist viel zusammengebrochen.
Ich war einfach nicht ich und bin in eine Depression gefallen. Mir sind beim Duschen die Haare büschelweise ausgefallen. Schlafen war nicht mehr möglich, ich habe da wirklich gedacht, ich verliere den Verstand.
Was mir damals geholfen hat, war die verpflichtende Suchttherapie. Die musste ich vom Staat aus machen, wegen der Anzeige für die Drogen. Ich bin dort drinnen gesessen und dachte mir, why not – ich versuch das jetzt. Ein paar Jahre darauf hat mich diese Therapie tatsächlich aus dem Sumpf geholt. Ich habe zwar nicht komplett aufgehört Drogen zu nehmen, aber ich habe meinen Konsum in den Griff bekommen und gelernt zu reflektieren. Natürlich ist das alles nicht einfach weg, die Depressionen kommen und gehen, aber ich habe gelernt damit umzugehen. Diese Erfahrungen möchte ich teilen und verarbeite ich unter anderem mit und durch meine Tracks.
©Ramona Lavrincsik
Was konntest du aus deiner Therapie mitnehmen?
ALPONE: Erst durch die Therapie wurde mir klar, dass die Flucht vor dem Krieg Spuren hinterlassen hat.
Ich musste keine Bomben miterleben, aber ich hörte meine Mutter aus Angst und Existenzsorgen weinen. Wir haben Familienangehörige verloren, auch das blieb nicht ohne Wirkung. Als Kind wurde ich in der österreichischen Schule als „scheiß Ausländer“ beschimpft und mir wurde gesagt, ich solle zurück in mein Land gehen. Doch zu der Zeit hat nichts in „meinem“ Land auf mich gewartet, außer Krieg. Als ich jugendlich war, wollte ich diese schlechten Erfahrungen zurückzahlen, Rache nehmen sozusagen. Das war der falsche Weg, das musste ich auf die harte Tour lernen.
Über die verordnete Therapie bin ich bis heute dankbar. Mein Image als Rapper und Mann hätten es nicht zugelassen, dass ich mir selbst Hilfe suche. Alle in meinem Umfeld haben mir damals gesagt, wie stark ich bin. Dabei habe ich mir, wenn ich allein war, die Hände blutig geschlagen und geweint vor lauter Frust. Das schluckt man runter, weil „du musst ja stark sein“. Ich kanns nur wiederholen, ich bin wirklich froh, dass ich den Mut gefunden habe und heute öffentlich sagen kann, dass ich Hilfe brauche und annehme. Es macht dich weder zum Mann noch stark, wenn du versuchst, Probleme und Gefühle hinunterzuschlucken.
Hast du Tipps für unsere Leser*innschaft, auf was bei einer Therapie geachtet werden sollte?
ALPONE: Das Wichtigste ist – zumindest für mich -, dass der oder die Therapeut*in mich versteht. Der Funke muss überspringen, damit ein Vertrauen da ist. Es hat bei mir drei Anläufe gebraucht, bis ich den richtigen hatte. Aber so ist das halt, man versteht sich ja auch nicht mit jedem Menschen, also kannst du nicht erwarten, dass es mit Therapeuten anders ist.
Ich möchte auch noch sagen, redet mit den Menschen in eurem Umfeld, wenn ihr Hilfe braucht oder es euch nicht gut geht. Auch wenn es anfangs nicht so wirken mag, aber reden hilft und Therapeut*innen helfen noch mehr. Ihr seid stark, wenn ihr an euch arbeitet und euren Frust nicht in Form von Gewalt rauslässt.
Faktencheck: Krieg Bosnien-Herzegowina
Der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina (1992–1995) war ein brutaler Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, der mit dem Unabhängigkeitswunsch begann und zu ethnischen Säuberungen, Massenvertreibungen und über 100.000 Toten führte. Einigen Menschen gelang es, nach Österreich zu fliehen, wo sie zwar Schutz fanden, aber oft mit Rassismus konfrontiert wurden.
Begriffe wie ‚Jugo‘ wurden abwertend benutzt, Menschen wegen ihrer Herkunft und durch Vorurteile ausgegrenzt, ein Großteil wurde auf die Rolle der Arbeiterklasse reduziert und in anderen gesellschaftlichen Bereichen kaum anerkannt. ALPONEs Geschichte zeigt, wie tief diese Erfahrungen sitzen – warum es wichtig ist betroffenen Personen zuzuhören und Leidenden einen Therapieplatz zu verschaffen.
Seine Geschichte – wie unzählige andere – zeigt, wie Rassismus und Hass unser Handeln und unseren Lebensweg beeinflussen können. Rassismus ist ein Konstrukt, eine von Menschen gemachte Struktur, die zur Ausgrenzung dient. Nicht nur damals, sondern auch heute und in Zukunft bedroht es ein friedliches Zusammenleben.
Titelbildcredits: Elena Laaha